Innovative Methoden – mit Telemarken zum „besseren“ Skifahren

 

Autor: Sepp Resch, Ausbildungsleiter der Telemark-Austria und der BSPA

Alles im Leben braucht seinen richtigen Platz, wie ich meine. So ist wohl mein nachfolgender Beitrag weder Weltneuheit noch innovatives Wunderwerk der Skitheorie. Und dennoch ein ganz wichtiger Baustein im Kontext einer möglichst ganzheitlichen Herangehensweise zur Frage: „Welchen Betrag kann Telemarkskilauf für den Skisport in Österreich leisten“.
Nun also, und genau hier lässt sich passend festhalten, was ich mit meinem Ausbilder Team der Telemark-Austria unter dem Begriff „X-functional engagement“ entwickelt habe.

Bevor ich jedoch einige Antworten vorschlagen werde, bitte ich euch liebe Leser, mich ein kleines Stück in meine Gedankenwelt zu begleiten. Ich glaube es kann helfen zu verstehen mit welchen Motiven ich an diese Beleuchtungs-Aufgabe herangegangen bin.
ARETE ist ein alter Begriff aus der griechischen Philosophie und schon lange Zeit ist es eines meiner Leitmotive in meinem gesamten Lebenszuschnitt. Es beschreibt – simpel ausgedrückt – ein Streben nach einem Optimum, nicht nach dem Maximum. Denn das Maximum hätte wohl in seiner Gesamtbilanz einige Nachteile nicht mit auf dem Rechenzettel gebracht, womit am Ende das Optimum der anzustrebende Lösungsansatz sein muss. Was die alten Griechen schon wussten ist wohl gerade in den heutigen Tagen bei allen gesellschaftlich komplexen Themen aktueller denn je.
Diesem Gedanken folgend verlassen wir die Metaebene und schauen auf unser aktuelles Geschehen im österreichischen Schneesport. Leicht können wir eine recht griffige Segmentierung der österreichischen, im Schneesport aktiven Menschen vornehmen. Sicherlich anders als zum Beispiel in den nordischen Ländern entwickelte sich im alpinen Zentraleuropa – und damit besonders auch in Österreich ein großer Schwerpunkt im alpinen Skilauf. Was liegt nun näher als sich genau dieser Gruppe anzunehmen, deren Bedürfnisse zu verstehen und geeignete Zugänge anzubieten, eben dieser Zielgruppe bei ihrem Bestreben nach ihrem persönlichen Optimum behilflich zu sein.

Ein fundiertes theoretisches Konzept im Hintergrund, sprechen wir gerne von der geeigneten Rezeptur auf dem Weg zum „besseren Skifahren mit unserem „X-functional“ Ansatz.
Das ist unser Angebot, der „Claim“ der Telemark-Austria, um es im Jargon der Marketingbranche zu benennen. Ein Konzept, das durch speziell geschulte Telemark-Instruktoren dem gesamten Interessensfeld der Schneesport Interessierten zur Verfügung gestellt wird. Bei der Aufbereitung dieses Konzeptes wurde eben auf die österreichische Dominanz und Akzeptanz im alpinen Skilauf zugeschnittene Herangehensweise gewählt. Arno KLIEN hatte hier bereits früh vorgearbeitet und sein Modul bereits in den ersten Ausbildungslehrgängen zum Telemark-Instruktor an der BSPA Wien unter den Titel „Der schnelle Weg“ vorgetragen. Denn im österreichischen Telemarkwesen wird man kaum jemand antreffen der oder die nicht bereits mit der Vorbildung und einer gewissen Kompetenz aus dem alpinen Skilauf ans Telemarken herangeht. Diese Überlegungen lassen sich bis in den Spitzensport verfolgen, denn auch dort ist es geübte Praxis – durch ergänzendes Training in Sportarten spezifisch ähnlichen Bewegungsbereichen die Kompetenzen und deren variable Verfügbarkeit zu erweitern. Beispiele dafür gibt es unendlich viele, man denke an einen Ingmar STENMARK beim Seiltanzen, Hermann MAIER beim Telemarken oder Marcel HIRSCHER beim Motocross, um nur einige ganz wenige klingende Beispiele zu verwenden. Kraft, Flexibilität und Mobilität sind beim Skifahren von elementarer Bedeutung und können durch gezielte Schulung und gutes Training optimiert werden, was ebenfalls für die Vermeidung von Verletzungen unerlässlich ist. Genau hier setzt auch unser Konzept mit seinen 3 zusammenwirkenden Bausteinen an. Statt auf das maximale Ergebnis eines einzelnen Funktionsteiles abzuzielen wie z.B. maximaler Kraft, zielen wir auf ein Gesamtoptimum. Letztendlich ist es die Gesamtausformung, die alle Spezialitäten des Skisports verbindet. Das optimale repetitive Ausführung und Verbindung einzelner Kurven, die während der Abfahrt ausgeführt werden und die die Einbeziehung aller Muskelgruppen beinhaltet. Die perfekte Ausführung der einzelnen Kurve schon braucht das harmonische Zusammenspiel von zumindest zwei Elementen auf dieser Betrachtungsebene: die Flexionsverlängerung der unteren Gliedmaßen und die Positionierung des Rumpfes unter Beteiligung von Hüfte und Knie. Neben vielen weiteren, werden eben diese beiden Elemente in ganz besonderer Weise bei der Ausübung von Telemark Kurven geschult und verbessert.

Baustein-„DLS“

Der erste Baustein unseres Konzeptes verwendet als Basis das differenzielle Lernen motorischer Bewegungen (DSL).  Der Baustein stützt sich dabei auf die wissenschaftlichen Untersuchungen aus der allgemeinen Systemdynamik.
(Vgl.  Schöllhorn, W.I. Hegen, P. Eekhoff, A. (2014) Differenzielles Lernen und andere motorische Lerntheorien. Spektrum der Sportwissenschaft, 2, 35-55.)
Ein besonderer Gewinn nach dieser Methode zu arbeiten ist eine deutlich höherer „Retention“ wie in der oberen Grafik rechts dargestellt. Damit ist, vereinfacht ausgedrückt, der erhöhter Trainingsgewinn gemeint der anhaltend nach absolvierten Übungen dem Akteur erhalten bleibt. Dies ist natürlich im Kontext unserer Zielgruppe eine besonders wertvolle Eigenschaft, da wir damit ja gezielt Menschen ansprechen die dieses Training als Zusatz und Erweiterung ausüben uns somit auf rasche Wirksamkeit gewissermaßen angewiesen sind. Denn anders als bei der sportartenspezifischen Ausübung steht den Akteuren hier in der Regel nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung.

Baustein-„Dynamic Re-Grouping“

Ging es im Baustein 1 um Themen der Trainingslehre wendet sich der zweite Baustein dem gruppendynamischen Verhalten einzelner Akteure zu. Wir greifen hier auf ein Gruppendynamisches Modell nach Schindler zurück.
(Vgl. Raoul Schindler: Das lebendige Gefüge der Gruppe. Psychosozial-Verlag, Gießen 2016, ISBN 978-3-8379-2514-2.)
Auch hierzu möchte ich nur einige wenige Gedanken anführen die uns dazu bewogen haben gerade diesen Ansatz zu integrieren. Wir haben immer wieder in unseren Trainingsgruppen beobachtet, dass bei der Ausübung der nicht angestammten Sportart offensichtlich ein neues Gruppengefüge, und damit einhergehend auch eine neue Rangordnung innerhalb der Gruppe entsteht. Wenn also geübte Skifahrer eine angestammte Rolle innerhalb ihrer Stammsportart ausüben, funktioniert das mitunter in gleicher Gruppe aber einer anderen Sportart nicht mehr – es kommt somit zu einer dynamischen Umgruppierung (Re-Grouping). Wir konnten beobachten, dass dieses „Re-Grouping“ bei allen Gruppenmitgliedern ein besonderes Potential freisetzen konnte. Unabhängig von Alter, Geschlecht und dem Kompetenz Level konnten wir das bei allen Gruppen immer wieder feststellen. Beherrscht nun der Gruppentrainer und Coach die dahinter liegenden Mechanismen, lassen sich diese unglaublich wertvoll in die Gruppenführung einbinden. Gut angeleitet lässt es sich so ganz wunderbar mit der neu gewonnenen intrinsischen Motivationslage arbeiten und das Ergebnis obendrein als gemeinsamen Gruppenerfolg ausweisen.

Baustein „Motivation Incubator“

Im dritten Baustein nehmen wir die Wirkung von Neuromodulation mit auf. Vielleicht überrascht dieser Ansatz viele und lässt eher an eine geeignete Methode zur Schmerztherapie denken. Dahinter verbirgt sich jedoch ein weiteres wissenschaftliches Basiskonzept diesmal mit Ursprung der technischen Universität München.
(Vgl. Beck, F. & Beckmann, J. (2009): Werden sportmotorisch relevante Handlungs-Effekt-Verknüpfungen über dopamine Neuromodulation vermittelt? Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 60( 2) , 36 – 40.)
Eine tiefe Erläuterung der Zusammenhänge würde den Rahmen sprengen, weshalb ich auch hier auf eine allgemein gut verständliche Verkürzung zurückgreifen werde. Oft habe ich mich gefragt warum bei allen unseren Telemark Workshops die Teilnehmer mit einem derart zufriedenen Gesichtsausdruck abschließen. Ich habe das natürlich in Referenz zu vieler an mir bekannten Sport – Workshops gesetzt. Ich wollte mich einfach nicht mit den üblich bekannten Erfolgsfaktoren bei derartigen Veranstaltungen als Begründung zufriedengeben. Ich hatte nach langer Beobachtung und Ausarbeitung der vielen Rückmeldungen bereits den Namen festgelegt, denn es war alles zusammengefasst genau als das beschrieben worden. Im oben benannten wissenschaftlichen Konzept findet sich schließlich die Erklärung samt Empfehlung diesen Anreiz zu stiften und zu modulieren. Durch eine deutlich komplexere Ausübung des Fertigkeitserwerbes beim Telemarken werden Situationen erzeugt, bei der der Akteur die Wahrscheinlichkeit auf Bewegungserfolg meist deutlich niedriger einschätzt als dieser tatsächlich ist. In der Auseinandersetzung mit solchen Bewegungssituationen nimmt der Akteur häufiger einen überraschenden Bewegungserfolg wahr, der wiederum sehr vereinfacht ausgedrückt, phasische Aktivierungen des Belohnungssystems provozieren. Dies beschleunigt einerseits die Lernvorgänge, und induzieren andererseits eben genau diese tiefen Glücksgefühle. Mit gezielt angesteuerten Bewegungsaufgaben kann der darauf sensibilisierte Instruktor nun verstärkend einwirken und somit den Gesamterfolg der Übungseinheit optimieren.

Der 3×3 Effekt

Schon die drei Bausteine – einzeln angewendet – haben zweifellos einen signifikanten Erfolgsbeitrag. Das „Telemark-Austria X-functional engagement“ verbindet nun diese 3 Bausteine in einem praxisorientierten Workshop Format zu einem integrierten Erfolgsmodell. Seit 2016 erproben und verfeinern wir nun dieses Konzept in der praktischen Anwendung und Umsetzung. 2019 durften wir diesen österreichischen Beitrag zum Skilehrwesen im Rahmen des InterSki Kongresses 2019 in Bulgarien sowohl im Workshop als auch als Lecture präsentieren. Die zahlreichen und extrem positiven Rückmeldungen vieler internationaler Skiexperten haben uns als Team sehr gefreut und bestätigt. Und so wie die offizielle Präsentation ihren würdigen Platz erhalten hatte, ist deren Verschriftlichung ebenfalls an der absolut richtigen und würdigen Stelle angekommen.

Weiter Informationen zur Anwendung in der Praxis